An der Schwelle des 20. Jahrhunderts war Dinklage ein kleiner, landwirtschaftlich geprägter Ort mit knapp 4000 Einwohnern. Die Bevölkerung war mit Ausnahme der Bauernschaft Wulfenau fast ausschließlich katholisch.
Politisch hatte Dinklage an Bedeutung verloren. Die „Herrlichkeit Dinklage“ mit ihren Sonderrechten gab es längst nicht mehr. Auch das Amt Steinfeld mit Sitz in Dinklage war aufgelöst und in das Amt Vechta eingegliedert worden. Größten Einfluss auf die Entwicklung des Ortes hatten aber nach wie vor der Graf von Galen als größter Grundbesitzer und die katholische Kirche.
Doch die Zeiten änderten sich. Hatte die Bevölkerungszahl bis Mitte des 19. Jahrhunderts aufgrund fehlender Erwerbsmöglichkeiten und der daraus resultierenden Auswanderungswelle noch abgenommen, so stieg sie jetzt. In der Landwirtschaft konnten Dank der Entwicklung von mineralischen Düngern die schlechten Bodenverhältnisse ausgeglichen und die Erträge gesteigert werden. Außerdem trieben Dinklager Bauern die Schweinezucht voran und waren so maßgeblich am Entstehen der Veredlungswirtschaft in Südoldenburg beteiligt.
Auch die Infrastruktur hatte sich bereits Mitte des 19.Jahrhunderts verbessert. Mit dem Bau der Straße nach Lohne erhielt die Gemeinde den Anschluss an die größeren Städte. Als zweite Gemeinde im Landkreis besaß Dinklage seit 1852 ein Krankenhaus. Nach und nach wurden auch in den Bauerschaften Schulen eingerichtet. Kurz nach Ende des 1. Weltkrieges hatte endlich jede Bauerschaft eine eigene Schule, so dass auch die ärmeren Schichten Zugang zu einem Mindestmaß an Bildung erhielten. Seit 1863 gab es zudem eine höhere Bürgerschule und ab 1894, als erste ihrer Art in Südoldenburg, die landwirtschaftliche Winterschule.
Dennoch wäre Dinklage wohl weiter die kleine Landgemeinde geblieben, wenn sich nicht 2 Betriebe, die Mitte des 19. Jahrhunderts gegründet worden waren, so rasch entwickelt hätten.
Die Weberei van der Wal, konnte ihren Bedarf an Arbeitskräften noch aus der einheimischen Bevölkerung decken. Der Betrieb von Bernhard Holthaus jedoch entwickelte sich so rasant, dass er auf das Anwerben auswärtiger Handwerker angewiesen war.
Abseits des Ortes betrieb Holthaus eine Windmühle und baute landwirtschaftliche Maschinen nach. Er hatte die Zeichen erkannt und baute die Geräte, die er auf landwirtschaftlichen Ausstellungen genau unter die Lupe genommen hatte, nach. Da es bis 1872 noch kein Patentrecht gab, war dieses auch ohne weiteres möglich. Aber er baute die Maschinen nicht nur nach, sondern verbesserte sie auch. Den größten Erfolg hatte er mit einer Dreschmaschine, die er mit einer selbst entwickelten Reinigungsanlage kombinierte. Für seine Geräte erhielt er viele Auszeichnungen und Preise. Als Bernhard Holthaus senior 1885 starb, hatte er den Grundstock für ein Unternehmen gelegt, dass unter seinem Sohn Bernhard zur führenden Landmaschinenfabrik im Herzogtum Oldenburg wurde.
Auch Rückschläge wie Wirbelstürme und Brände, die mehrfach gerade eben erst errichtete Werkstätten wieder zerstörten konnten das Wachstum de Firma nicht aufhalten. Anfang des 20. Jahrhunderts arbeiteten hier schon über 200 Männer. Das Geschäft blühte und Bernhard Holthaus entschloss sich trotz einer ausgezeichneten Bilanz, die Firma 1903 in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Um alle Aufträge zügig abwickeln zu können, waren noch mehr Investitionen nötig. Die Ausgabe von Aktien sorgte für das nötigte Kapital dazu.
Durch den Boom bei Holthaus sah sich die Gemeinde veranlasst, bei der oldenburgischen Landesregierung auf den Anschluss Dinklages an das Eisenbahnnetz zu drängen. Dieses gelang auch, weil die Holthaus AG sich verpflichtet hatte, eventuelle Defizite des Betriebs in den ersten Jahren auszugleichen.
Bereits 1904 nahm die Bahn ihren Betrieb auf. Holthaus bekam ein eigenes Anschlussgleis und sparte sich nun etliche Fuhren mit Gespannen zum Bahnhof nach Lohne. Am Bahnhof siedelten sich die Landhandelsunternehmen Bröring und Wehebrink an. Eine Viehwaage mit Verladestation wurde errichtet und 1907 war auch das Bahnhofsgebäude fertiggestellt.
Im Sog dieser für eine ländliche Gemeinde beachtlichen industriellen Entwicklung blühten auch Handel und Handwerk auf. Dinklage hatte Anschluss an die „modernen Zeiten“ gefunden.
Die Holthaus AG hatte bereits einige Häuser als Mietwohnungen für Ihre Arbeiter an der Holthausstraße errichten lassen, doch damit war der Bedarf an Wohnraum langfristig nicht zu decken. Nach und nach entstand hier das, was die Dinklager „Kolonie“ nannten: Eine Siedlung abseits des Dorfkerns, in der Fabrikarbeiter unter schlechten Bedingungen lebten. Derartige Arbeitersiedlungen waren sonst nur aus Industriezentren wie dem Ruhrgebiet bekannt. Für den Oldenburger Raum jedoch war die Straße außergewöhnlich. Ein letztes dieser Häuser (Ripke) ist noch heute fast in seiner ursprünglichen Form erhalten – wie lange noch?
Das Misstrauen gegen die Fremden wuchs, und das Zusammenleben verlief nicht immer ohne Konflikte. Im Laufe der Zeit begannen die Arbeiter sich zu organisieren, einerseits in Vereinen wie dem TVD (Gründung 1904) und dem KAB (Gründung 1911), andererseits auch politisch. Holthausarbeiter waren es, die Gewerkschaftsversammlungen organisierten und an der Gründung eines SPD- Ortsvereins (1917) beteiligt waren.
Mitten in diese Zeit fiel der Ausbruch des 1. Weltkrieges, der durch den Einsatz der modernen Waffen zum Albtraum geriet. Die Firma Holthaus, deren Produktion durch die Mobilmachung zunächst fast völlig zum Erliegen gekommen war, hielt sich mit der Produktion von Graugussgeschossen über Wasser und trug so, wenn auch ungewollt zum Tod vieler Soldaten bei.
Um den Ausfall der eingezogenen Arbeiter auszugleichen, stellte Holthaus zusätzliche Hilfsarbeiter ein. Am Ende des Krieges hatte Dinklage 189 gefallene Soldaten zu beklagen. Der Ort selbst jedoch blieb unzerstört, da er nicht zum Kriegsschauplatz geworden war.
Nach dem Zusammenbruch und der Abdankung Kaiser Wilhelms II. nahm auch in Dinklage zunächst ein Arbeiter- und Soldatenrat das Heft in die Hand. Es waren vornehmlich Arbeiter der Holthaus AG, die die öffentliche Ordnung und die Verteilung von Lebensmitteln zu organisieren suchten.
Auch ein Streik bei Holthaus, der nach Annahme der meisten Forderungen bereits nach 8 Tagen beendet war, gehört zu den bemerkenswerten Ereignissen jener Zeit. Zwischenzeitlich war durch den Ausfall der elektrischen Zentrale sogar die Stromversorgung des Ortes unterbrochen.
Allmählich beruhigte sich die Lage und ein wirtschaftlicher Aufschwung setzte ein. Bis 1925 stieg die Zahl der Arbeiter bei der Holthaus AG auf ca. 480 Personen.
Mit der Landwirtschaftlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaft siedelte sich 1920 ein weiteres Landhandelsunternehmen am Bahnhof an. Im gleichen Jahr hatte die Möbeltischlerei Diekmann ihren Betrieb an der Sanderstraße aufgenommen.
Noch bevor am 6.4. 1919 der erste Dinklager Gemeinderat gewählt wurde, zu dessen Wahl auch die Arbeiter der Maschinenfabrik Holthaus mit einer eigenen Liste antraten, gründete sich am 13. 2. 1919 der Spar- und Bauverein e.G.m.b.H für die Gemeinde Dinklage.
Dieses Datum dürfen wir als Ursprung der heutigen Friedenstraße annehmen.