In der Nachkriegszeit herrschte auf der Bahnlinie vom Ruhrgebiet in Richtung Südoldenburg reger Betrieb. Unsere Region war bekannt dafür, dass man hier seinen kargen Speisezettel durch den nicht ganz legalen Erwerb von Schinken und dergleichen etwas aufbessern konnte.

Hamsterfahrten Remagen 1947, Quelle Wikipedia
Auch meine Großmutter nahm nach dem 2. Weltkrieg einmal die beschwerliche Reise ins Oldenburgische auf sich. Von Hattingen im Ruhrgebiet kommend fuhr sie in überfüllten Zügen ins Oldenburgische. Sie die Witwe eines Bergmanns lebte seinerzeit mit ihren 3 kleinen Kindern bei ihrer Schwägerin unter schwierigen Verhältnissen. In der Nähe von Aachen, wo sie vorher wohnten waren sie „ausgebombt“ worden. Zeitlebens war diese Hamsterfahrt für sie ein traumatisches Erlebnis. Da sie mittellos war und keine geeigneten Tauschobjekte besaß, war diese einmalige Reise für sie in höchstem Maße erniedrigend. Auch im Alter erzählte sie daher nur wenig aus dieser schlimmen Zeit. Nur der Eindruck, dass die südoldenburger Bauern ihre Schweineställe mit Teppichen hätten auslegen können, blieb haften und wurde in der Familie weitergegeben.
So kann ich eine gewisse Schadenfreude über die Zeitungsberichte nicht verhehlen, auf die ich kürzlich gestoßen bin.
Es war gegen Ende des 1. Weltkrieges, als sich „ein zweibeiniger Hamster weiblichen Geschlechts“ mit der Bahn auf den Weg nach Dinklage aufmachte, um hier die begehrten Fleischwaren zu erstehen Beim Kleinbauern (Kötter) Kamphaus in Bünne kam die Frau ins Geschäft. Ein paar Eier und einen 15 kg schweren Schinken konnte sie dort erwerben. Dafür musste sie den stolzen Preis von 300 Mark berappen. Sie kam der illegale Kauf aber noch teurer zu stehen.

Norddeutsches Volksblatt vom 7.5.1918
Zurück am Bahnhof wurden der teure Schinken und die Eier sogleich vom hiesigen Ordnungshüter beschlagnahmt. Für den Kötter Kamphaus aber kam es knüppeldick. Bei Ihm wurde sogleich eine Hausdurchsuchung vorgenommen. Diese förderte mindestens 3 Tonnen versteckten Roggen und einen weiteren versteckten Schinken ans Tageslicht. Die Beschlagnahmung erfolgte auch hier. Was folgte war zudem eine empfindliche Geldstrafe von 2500 Mark.

Nachrichren für Stadt und Land, 8.11.2018
Ob der kleine Bauer seinen Verlust durch weitere Geschäfte dieser Art wieder ausgleichen konnte, ist nicht bekannt. Ein gewisses Verständnis für den hohen Preis des Schinkens muss man ihm wohl angesichts des hohen „Geschäftsrisikos“ auch entgegenbringen.
Was bleibt ist die Frage, wo die 1250 Pfund Differenz aus gefundenem und bei der Verurteilung festgestelltem Roggen geblieben sind. Waren es Messungenauigkeiten, oder ist der Rest als „Provision“ in den Taschen der Gendarmerie gelandet ?